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Erster Tag (Sonntag, 22. Juli 2007)
101 km
reine Fahrzeit: 4:40 h
mittl. Geschw.: 21,6 km/h

Am Anfang stehen ein ganze Reihe ungeklärter Fragen: Kann man 390 Kilometer am Stück skaten? Reichen die vier Tage dafür? Wird das Wetter uns wohl gesonnen sein und uns mit Regen verschonen? Finden wir immer zum rechten Zeitpunkt ein Quartier? Machen die Füße mit? Wir brechen immerhin zu der ersten mehrtägigen Inlineskating Tour auf, die jemand aus unserem Dunstkreis bisher unternommen hat. Ein Experiment also.
Neben den Fragen macht sich eine kindische Freude breit, als am Sonntag den 22.07. unerwartete Sonne den Südwesten Deutschlands überflutet. Es wäre zu schade gewesen, wenn das seit Monaten ins Auge gefasste Experiment gleich am ersten Tag zu scheitern gedroht hätte. Es waren immerhin Unwetter angekündigt.
Und so kommt es, dass uns bei der FT eine handvoll gut gelaunter Mitarbeiter empfängt, die soeben den 'Tag der offenen Tür' eröffnet haben. Auf der Wiese tummeln sich bereits Scharen leicht bekleideter Kinder neben gewaltig ausgepolsterten American Footballern, die uns zu Ehren ihr Kriegsgeheul anstimmen. Das bilde ich mir zumindest ein...

Wie dem auch sei, unser Start wird zum ersten Höhepunkt des Tagesprogramms. Nach einem kurzen Interview auf der Hauptbühne und ein paar Fotos von uns fünfen stolzieren wir mit gebührendem Abstand von den Footballern über die Wiese und gelangen auf den Dreisamradweg. Schon kommt die nächste Attraktion: Jochen mit stattlicher Löwenmähne auf Erkundungsfahrt. Ein paar Worte wollen gewechselt werden, bevor wir uns endgültig in Bewegung setzen.

Geplant ist, dass Dieter und ich versuchen werden, die 390 Kilometer wirklich durchgängig zu skaten. Yvonne und Martin werden uns auf der ersten Etappe begleiten, wie sich später herausstellt eine riesen Hilfe.

Um kurz vor 12 endlich nehmen wir die ersten Meter des vertrauten Dreisamrad-wegs unter unsere Rollen. Leicht geht es bergab an dem schönen Flüsschen entlang, das schaukelnde Gepäck auf dem Rücken beunruhigt mich noch nicht sonderlich.

Bald lassen wir die Dreisam rechts liegen und schwenken nach Süden. Micha Pfirsig, der uns bis hierher Windschatten gespendet hat, wünscht uns alles Gute und kehrt zur FT zurück. Nun sind die vier wackeren Skaterlein auf dem langen Weg nach Rheinfelden auf sich allein gestellt.
Bereits hinter Schallstadt wartet das erste Hindernis auf uns. Ein Ordner hält uns mit Macht davon ab, den üblichen Weg nach Pfaffenweiler zu nehmen, da dort gerade ein Radrennen in vollem Gange ist. Wir schlagen uns irgendwie durch, weichen der entgegenkommenden Spitzengruppe auf den Rasen aus und entscheiden in Pfaffenweiler, eine Umfahrung über den Batzenberg zu versuchen. Mein ungutes Gefühl zu dieser Entscheidung bestätigt sich schnell, da sich kein geeigneter Weg am Fuß des Berges entlang für uns auftut. Wir irren im Berg umher und wagen letztendlich eine allzu rasante Abfahrt, die stumpf auf die Hauptstraße nach Kirchhofen stößt. Lediglich Dieter wirft sich von weit oben in die Abfahrt und kommt mit gewaltigem T-Stopp vor der Straße zum Stehen, eine lange Dreckwolke hinter sich her ziehend. Wir anderen drei wählen in Anbetracht des Abgrunds verschiedene defensivere Abfahrtsvarianten. Nach ein paar hundert Metern auf der Hauptstraße treffen wir wieder auf die geplante Route. Dieses Manöver hat uns gut eine halbe Stunde gekostet.


Von nun an geht es wieder ziemlich zügig voran, auch wenn uns ein stetiger Wind ins Gesicht bläst. Auf immer noch vertrautem Terrain gelangen wir nach Bad K., Heitersheim, Müllheim, auf einer schönen langen Gerade nach Steinenstadt und schließlich nach Bad Bellingen. Spätestens ab hier betreten wir Neuland. Umso aufmerksamer fahren wir. Die Orientierung geht problemlos. Ich habe die heutige Etappe im Kopf, was sehr angenehm ist. Das ständige Karte-raus-und-wieder-rein entfällt größtenteils.

Nach einem langen Anstieg in Efringen-Kirchen machen wir viel zu spät den ersten Halt. Dieter ist ziemlich erschöpft. Nach langer Autofahrt und wenig Schlaf ist er nicht in Bestform. In einem idyllischen Reiterhof mit buntem Treiben finden wir ein lauschiges Plätzchen zum Erholen. Wir haben 58 Kilometer hinter uns und nehmen uns vor, in Zukunft alle 30 Kilometer eine Pause einzulegen. Nach einer Stunde voller Spare Ribs, Folienkartoffeln, Kuchen, Bier und Pferdemief fühlen wir uns wieder stark genug für die Piste.

Yvonne und Martin leisten wunderbare Führungsarbeit, so dass wir zügig die Grenze in Weil am Rhein erreichen. Die erste von insgesamt neun Grenzüberschreitungen der Tour ist eher unspektakulär. Wir rollen einfach durch.

Vorbei am Erlebnisbad 'Laguna' geht es auf den Uferweg entlang des Baches Wiese und einem Stück Straße hin zum Rhein, der uns die nächsten Tage begleiten wird. Sein braunes Wasser ist Zeugnis der schweren Regenfälle der vergangenen Woche. Träge wälzt er sich hier durch die Stahl- und Betonwüste, die die Chemieindustrie hier geschaffen hat.

Träge wälzen auch wir uns in Grenzach am Ciba Geigy Werk vorbei und gelangen auf allmählich wieder schöner werdenden Wegen nach Herten. Wie es der Zufall will treffen wir José Altiveros vor seinem Laden. "Oh, the Freiburgers. What the hell macht ihr denn hier???" Was für eine Begrüßung. Schnell versammelt sich eine kleine Gruppe von Menschen vor seinem Laden, die sich alle mehr oder weniger gut vom Skaten kennen. Und als würde sie wissen, dass sie in dieser Runde noch fehlte, taucht plötzlich Jenny im Zepto Dress auf Hertens Hauptstraße auf. Sie ist offenbar gerade von Prezelle zurück gekommen, wo es furchtbar geregnet haben muss und sie deshalb nicht gestartet ist... nach 900 Kilometern Anreise.

Als Jenny hört, dass wir nach Schloss Beuggen wollen, schlägt sie gleich vor, uns bis dort hin zu führen. Das Angebot schlagen wir natürlich nicht aus und klemmen uns in ihren Windschatten. Schnell sind wir in Rheinfelden. Kurz vor unserem Etappenziel macht Jenny kehrt. Die letzten Meter führen uns auf feinem Asphalt wieder an den Rhein und durch ein Seitentor in die wunderbare Anlage von Schloss Beuggen. Zu unser aller Freude findet dort gerade ein Fest statt. Trotz der schmerzenden Füße ist der Weg zum Tresen schnell geschafft. Das Bier hat Vorrang, die Füße werden erst nach dem Gaumen von ihrer Qual erlöst.

Der Blick auf mein GPS-Gerät verrät, dass 100,8 Kilometer hinter uns liegen, deutlich mehr als die kalkulierten 90.

Nachdem wir uns die letzten halben Hähnchen einverleibt haben, machen sich Yvonne und Martin auf den Weg zurück. Ein Katzensprung vom Schloss entfernt liegt der Bahnhof Beuggen, von dem aus man bequem nach Freiburg zurück gelangt. Dieter und ich beziehen ein geheimnisvolles Zimmer in einem geheimnisvollen Schloss ohne Menschen. Doch, ein Kreuzritter im Gang hält Wache. Er sagt aber nichts, trotz unseres komischen Aufzugs.

 

Zweiter Tag (Montag, 23. Juli 2007)
83 km
reine Fahrzeit: 4:25 h
mittl. Geschw.: 18,2 km/h

Das Gebimmel zur Morgenandacht um 6:30 Uhr müssen wir wohl überhört haben. Ein fester Schlaf ist im Leben eben von Vorteil. Dieter treibt offenbar das dringende Bedürfnis, seine Lager zu ölen aus dem Bett. Vorbildlich. Wer sein Material in Ehren hält, dem ist ein langes Skaterleben beschienen.

Auf dem Gang hält der Kreuzritter von gestern Abend immer noch Wache.

Wir frühstücken in einem kuscheligen Erker mit Tonnengewölbe direkt über dem Rhein. Dieses Plätzchen hat mir Sonja, die des Öfteren hier war, bereits empfohlen.

Heute sind auch vereinzelte Menschen in den heiligen Räumen anzutreffen. Sogar die Rezeption ist mit gediegenen Damen besetzt. Wir zahlen 33 Euro pro Nase und machen uns gegen 9:30 Uhr auf den beschwerlichen Weg in Richtung Bodensee. Das erste Highlight sind 10 Meter Kopfsteinpflaster unter dem Haupttor des Schosses. Hätte sich das Tor wohl auch nicht träumen lassen, dass hier mal solch eigenartige Vehikel durchrollen.

Das Wetter ist wieder viel besser wie angekündigt. Es ist trocken und sonnig. Einzelne weiße Wölkchen lassen nichts Böses vermuten.

Der Rheintalradweg führt uns auf überwiegend schön zu fahrenden Wegen nach Bad Säckingen. Dort erwartet uns jedoch wieder derbes Kopfsteinpflaster, und zwar deutlich mehr als 10 Meter. Doch um auf der historischen Holzbrücke hier den Rhein ein erstesmal zu überqueren, muss man ein paar Qualen in Kauf nehmen. Die Fahrt über die uralten Holzbohlen ist dann allerdings mehr als eine Entschädigung.

Auf der schweizer Seite erwarten uns ein paar kleine Berge und ein sehr schöner Abschnitt im noch feuchten Wald.

Hinter Laufenburg queren wir erneut den Rhein, decken uns bei Aldi mit Proviant ein und machen im kleinen Örtchen Stadenhausen unsere erste Pause. Es sind noch nicht ganz 30 Kilometer gefahren. Ein Brunnen und eine Bank werden von uns für eine Dreiviertelstunde besetzt.

Auf dem Teilstück bis Albbruck müssen wir für zwei Kilometer auf die B34. Der Verkehr ist jedoch sehr moderat, so dass es keine Probleme gibt. In Albbruck müssen wir wieder über den Rhein. Den Einstieg zu der kleinen Militärbrücke zu finden erweist sich jedoch als nicht so ganz leicht.

Die nun folgenden zehn Kilometer auf schweizer Grund sind für zukünftige Touren wirklich nicht zu empfehlen. Von rau bis sehr rau ist alles dabei. Die sonst schon recht spärliche Konversation kommt vollends zum Erliegen, weil jeder sich auf die Beherrschung des Schmerzes konzentrieren muss. Es macht sich allmählich die Gewissheit breit, dass wir heute nicht besonders weit kommen werden. In Koblenz müssen wir einen weiteren Zwischenstopp einlegen. Dieter hat Fußprobleme. Bis hierher haben wir 46 Kilometer geschafft. Es liegen also noch gut 35 Kilometer vor uns bis zur ersten möglichen Unterkunft in Rüdlingen.

In Zurzach überqueren wir wieder den Rhein und die Grenze. Der Rheintalradweg führt uns nun auf überwiegend gutem Untergrund bis Günzgen. Auf diesem Teilstück werden wir allerdings überrascht von 800 Meter grauenhaft aufgerautem Betonbelag in Rheinufernähe. Da das Stück in einer Abfahrt vollkommen unerwartet auftaucht, werden Dieter und ich förmlich nach vorne gerissen. Laut jaulend rattern wir über das vom Wasser ausgewaschene Betongebilde und müssen gehörig mit den Armen rudern, um nicht zu Fall zu kommen. Nachdem die Skates endlich zum Stehen gekommen sind, verharren wir erst mal eine Ewigkeit und versuchen wieder zur Besinnung zu kommen. Soll der Weg etwa in dieser Qualität weiter führen? Das kann doch nicht sein.

Es stellt sich heraus, dass der Radweg kurz darauf wieder wunderbar asphaltiert ist. Dennoch hat dieses Stück gewaltig an unseren Nerven gezerrt. Jetzt geht es nur noch ums Durchhalten.

In Hohentengen müssen wir eine brutal steile Rampe hoch, um die Hauptstraße zu umgehen. Oben angekommen ist mal wieder Zeit für eine Pause. Ich versuche bei unserem vermeintliche Ziel, dem Begegnungszentrum Rüdlingen anzurufen, habe aber zunächst Probleme mit verschiedenen widersprüchlichen Vorwahlen. Endlich gelingt es mir, jemanden ans Telefon zu bekommen. Sie haben Betten frei und wir können kommen. Ich bin heil froh!

Am kleinen Grenzübergang Günzgen fahren wir ein letztesmal für heute in die Schweiz. Auf rauen Belägen kommen wir nach Hüntwangen und Wil. Inzwischen sitzen uns dicke Gewitterwolken im Nacken, die sich weitgehend unbemerkt von Westen her angeschlichen haben. Die ersten Tropfen fallen. Sollten wir so kurz vor dem trockenen Ziel noch vom Gewitter eingeholt werden? Welch schreckliche Vorstellung.

Es geht von der Hochebene um Rafz wieder ins Rheintal hinab. Eine schwierige Abfahrt ist noch zu meistern, die unten auf eine breitere Kantonalstraße stößt. Noch ist sie nicht nass. Trotz der schmerzenden Füße und der wenigen verbliebenen Kraft gelingt uns das Bremsen ganz gut. Nach einem weiteren Kilometer liegt endlich unser ersehntes Quartier vor uns. Es ist inzwischen 17:30 Uhr.

Das Begegnungszentrum Rüdlingen ist mit einer Jugendherberge zu vergleichen. Es gibt ein Haupthaus mit vielen Zimmern und drei einzeln stehende Gruppenhäuser für Selbstverpfleger.

Eine freundliche Frau empfängt uns als einzige Gäste im Haupthaus. Dieter fällt sofort ins Bett. Danach fängt der Regen an.

Ich lausche noch etwas dem Wolkenbruch und lege mich dann auch hin.

Dieter muss wohl von lautem Magenknurren geweckt worden sein. Zumindest schlägt er vor, sich zum einzig offenen Gasthaus durch zu schlagen. Das sei 15 Minuten zu Fuß von hier, hatte die Verwalterin uns mitgeteilt. Ohne die großen Schirme, die in der Geraderobe im Eingangsbereich auf uns zu warten scheinen, würde ich heute vorziehen zu hungern. Der Regen hat nicht nachgelassen.

Erstaunlicherweise kann man mit normalem Schuhwerk, auch wenn die Schmerzen in Skates zuvor geradezu unmenschlich zu sein schienen, wieder ziemlich schmerzfrei gehen.

Dieter humpelt zwar noch unverkennbar, aber wir schaffen es zum Gasthaus nach Steinenkreuz.

 

Dritter Tag (Dienstag, 24. Juli 2007)
106 km
reine Fahrzeit: 5:06 h
mittl. Geschw.: 20,4 km/h

Dieter humpelt auch nach acht Stunden Schlaf noch. Seine Entscheidung steht bereits fest, heute von hier aus mit Bus und Zug nach Davos, unserem Ziel zu fahren. Das Gratis-Ticket für die Schweizer Ver-kehrsbetriebe, welches wir der Teilnahme am Swiss Alpine Marathon zu verdanken haben, macht die Entschei-dung zwar etwas leichter, dennoch ist die Frühstücksstim-mung trübe. Das Wetter hat sich hingegen beruhigt. Der Blick vom Frühstückstisch in die saftig grüne Thurebene weckt trotz der Gewissheit, die Reise jetzt alleine fortsetzen zu müssen, die erste Skatelust in mir.

Es ist 10:30 Uhr als Dieter den direkt vor unserem Quartier haltenden Bus be-steigt. Kurz darauf schlüpfe ich in die harten Schuhe, schultere die 6 Kilo und starte gleich in eine St. Moritz-artige Abfahrt mit Verkehr. Erst am Fuße der Abfahrt, den Auslauf in Sicht-weite, weicht das etwas mulmige Ge-fühl und ich kann die ersten vorsichtigen Skatingschritte wagen.

Es geht an dieser Stelle vorerst das letztemal über den Rhein. Bis Flaach komme ich gut voran, muss aller-dings wieder dunkle Wolken hinter mir zur Kenntnis neh-men. Auf dem Weg nach Andelfingen fallen die ersten Tropfen. Diese sind jedoch so zaghaft, dass ich keinen Grund sehe, nicht weiter zu fahren. Ab Andelfingen wird die Straße allmählich regennass und rutschig. Schade, dass es mir nicht vergönnt ist, diese herrlichen Strecken entlang der Thur bei guten Skatebedin-gungen zu erleben. In einer kleinen Häusergruppe namens Dättwill stelle ich mich unter und warte etwa eine Stunde lang, bis sich der Regen wieder gelegt hat. Glück-licherweise treibt ein starker Westwind die Wolken vor sich her, später auch mich. Gelegentlich zwingen mich Schi-kanen aus Matsch und Wasser zu in-teressanten Slalom-manövern. Manch ein Bauer hat vor dem Regen nochmal schnell sein Acker gepflügt und mir sein halbes Feld auf der Straße hinterlassen. Na ja, auf Schön-skaten kommt es jetzt nicht an, Haupt-sache ich komme voran.

Die Abfahrt von Niederneunforn runter zur Thur ist harmloser als ich bei der Visite per Auto gedacht habe. Mit dem Wind im Rücken geht es mit 25 bis 30 km/h dahin. Zügig fahre ich über das Allmend-Gelände an Frauenfeld vorbei. Vor ein paar Jahren waren Patrick, Dieter und ich auf diesem Gelände, um beim hiesigen Mara-thon zu starten. Tat-sächlich gewagt hat den Start nur Pat-rick, da es furchtbar am Regnen war.

Hinter Frauenfeld werden vorüber-gehend die Beläge schlechter und meine Füße fangen an zu brennen. Gewitter-wolken verfolgen mich nachwievor, zerstreuen sich aber immer wieder, bevor sie ihre Last abwer-fen. Bis Weinfelden komme ich gut durch. Hinter Wein-felden jedoch er-warten mich lange derbe Abschnitte, die mich vielmals laut fluchen lassen. In Kradolf bin ich vorläufig am Ende. Ich muss unbedingt aus den Schuhen raus, auch wenn der verdammte Regen mich hier wieder einzuholen droht.

Eine Stunde später fühle ich mich erholt genug für das nächste Teilstück. Als ich im Super-markt gerade auf-tanke, fängt es draußen an zu reg-nen. Der Regen ist kurz und heftig und reicht gerade so, um dem Asphalt den Grip zu nehmen. Der Wettergott möchte mich scheinbar zermürben. Da ich aber weiß, dass die nächsten Kilometer auf gutem Unter-grund zu fahren sind und ich schon die Bodenseebriese zu riechen meine, kratze ich die ver-bliebene Kraft zu-sammen und starte in Richtung Bischofs-zell. Von dort aus geht es hoch nach Zihlschlacht. Zwischenzeitlich muss ich für fünf Minuten in einem Weichenhäuschen direkt neben der Bahnstrecke ver-schwinden, um einem Schauer zu entgehen. Bis Ror-schach in die Ju-gendherberge will ich es schaffen. Wenigstens der Bo-densee muss heute erreicht werden.

Allerdings kündigt sich der See mit gewaltigen schwar-zen Wolken an. Der Rivertrail, den ich seit Frauenfeld be-fahre, führt mich in bergiges Gelände südlich von Amris-wil. In Hagenwil erwartet mich eine unskatebare Ab-fahrt. Was die Schweizer als Skatestrecke aus-weisen, wäre in Deutschland un-denkbar. Im Tal-kessel von Hagen-wil treffe ich auf die One-Eleven Strecke, die hier nach ca. 30 Kilo-metern die erste steile Rampe hinauf führt. Hat man den Kulminationspunkt überwunden, kann man sich auf einer zwei Kilometer langen Abfahrt nach Steinebrunn aus-ruhen. Dort verlasse ich den Rivertrail und biege in den Appletrail ein, der mich über Bumes-hus, Roggwil und Tübach nach Horn ans Ufer des Bo-densees führt.

Die Uferpromenade macht bei diesem Wetter einen ziem-lich abweisenden Eindruck auf mich. Zudem schlagen der wieder einsetzende Regen, der unge-wohnte Verkehr und die traurig wirken-den Feriengäste auf mein Gemüt. Die Jugendherberge erreiche ich nach mehrfachem Fragen erst ganz am Ende von Rorschach. Es handelt sich um eine lang gestreckte Ba-racke zwischen Bahngleisen und See. Ich kann nichts Einladendes an die-sem Ort finden und ein türkisch wirken-der Herr Wichtig, der genauso gut auch ein Gast hätte sein können, gibt mir gleich unmissver-ständlich zu verste-hen, dass ich hier unerwünscht bin: "Isse voll". Er be-sinnt sich zwar nochmal und bietet mir eine tropfende Pritsche in einem zugigen Zelt auf der Liegewiese an, be-vor er in der Küche in einer Wolke Fritteusendunst ver-schwindet.

Damit habe ich ehr-lich gesagt nicht ge-rechnet. Ich skate einen Kilometer zu-rück an den Hafen, wo mir auf der Her-fahrt eine Tafel mit Hotels aufgefallen ist. Also telefoniere ich nacheinander die fünf nächst gele-genen Hotels durch und erhalte nur Ab-sagen. Eine Dame will sich für mich noch bei anderen Hotels umhören. Ich soll mich in 10 Mi-nuten nochmal mel-den. Während ich mit dem Handy rumfuchtel, schwappt ein Stein-wurf von mir entfernt der Bodensee unab-lässig bedrohlich an die Uferböschung. Die gute Frau hat tatsächlich, als ich wieder anrufe, ein Hotel mit freiem Ein-zelzimmer ausfindig gemacht. Es heißt Hotel Waldau und sei etwas außerhalb gelegen. Die Adresse kann ich auf dem dortigen Stadt-plan allerdings nicht finden. Ich breche die Aktion ab und entscheide mich, einfach weiter zu skaten. Es ist inzwi-schen 18 Uhr. Ich spekuliere auf ein Wunder, welches mich auf dem Weg nach St. Margre-then geradewegs zu einem warmen, freundlichem Domizil mit gutem Essen führen wird.

Kaum eine Viertel-stunde später ge-schieht das Wunder! Ein viersterniger Pfeil taucht am Weges-rand auf und weist zu einem versteckt gelegenen altehrwür-digen Hotel. Es ist das mir dem Namen nach bereits bekan-nte Hotel Waldau.

Damit mir das Wun-der nicht zu Kopfe steigt, klemme ich mir beim Erklimmen der Eingangstreppe kurz vor Erreichen des roten Teppichs nochmal ordentlich den kleinen Zeh an einer der vorstehen-den Granitstufen.

Der rote Teppich reagiert allergisch auf Rollen und stellt seine Haare auf. Ich ziehe es vor, die Schuhe vor Betreten der Eingangshalle lieber auszuziehen und mit triefenden Socken an den An-meldetresen zu schleichen. Der Herr im Livree findet lauter äußerst de-zente nette Worte, ich unterschreibe irgendwas und darf einen Schlüssel in Empfang nehmen. Mit einem wackeln-den Aufzug im Ju-gendstil Design geht es in den dritten Stock, wo mich ein schmuckes Zimmer erwartet.

Nachdem ich meine triefenden Socken gegen trockene Laufschuhe ge-tauscht und so de-zent wie eben möglich die Skates von draußen geholt habe, falle ich erschöpft und zufrieden in das unendlich weiche Federbett.

Um das Abendessen nicht zu versäumen rappele ich mich wieder hoch, dusche und finde in der gediegenen Becken-landschaft vor einer grandiosen kingsize Spiegelwand den idealen Ort für die Lagerpflege. Ich benötige fast zwei Stunden, bis der Skate wieder glänzt und mir mit willigem Lagersurren signali-siert, dass es nicht an ihm liegt, wenn wir morgen schlapp machen sollten.

So, nun zum Nacht-essen, koste es, was es wolle.

 

Vierter Tag (Mittwoch, 25. Juli 2007)
87 km
reine Fahrzeit: 4:26 h
mittl. Geschw.: 19,1 km/h

Nach sieben Stunden in tiefem Schlaf wache ich um kurz nach 6 Uhr auf und bin für meine Verhältnisse gleich erstaunlich munter. Ich kann es kaum erwarten, die Gardinen beiseite zu schieben, um das Wetter zu begutachten. Es scheint die Sonne! So ist es gestern für den ganzen heutigen Tag angekündigt worden. Das passt!

Im weitläufigen Frühstücksraum bin ich der erste Gast. Unter ständiger Beobachtung eines leicht bekleideten weißen Mädchens frühstücke ich schnell und dennnoch reichhaltig. Bereits um kurz vor 8 Uhr steige ich in die Stiefel. Die Schmerzen sind unerwartet hoch. Die ersten Meter auf dem Hotelparkplatz sind die Hölle. Ich setze mich wieder und ziehe alles nochmal aus und wieder an. Die Hotelausfahrt stellt sich plötzlich als steil abwärts führende löchrige Schikane dar. Irgendwie komme ich hinunter. Doch es geht in dem Stil weiter. Ein Stück steil hoch, kurz darauf wieder steil runter, dann zweimal verfahren mit jeweils heftigen Bremsmanövern. Wann habe ich dieses verdammte Rorschach endlich hinter mir?

Ich bin inzwischen von der ausgewiesenen Skateroute abgekommen und verlasse mich auf meinen Instinkt. Ein herrliches Hundertwasser Haus taucht plötzlich vor mir auf. Leider habe ich gar keinen Sinn dafür. Schnell konzentriere ich mich wieder auf die Bewältigung des unverschämt rauen Untergrundes.

Ein freundlicher älterer Herr auf dem Rad deutet mir an, ich solle hinter ihm her fahren. Er leitet mich geradewegs ins Verderben. Sicher, die kleinen Wege und der Marktplatz von Rheineck sind wirklich photogen, mag sein, dass er darauf stolz ist, ich komme hingegen fast um auf dem groben Kopf-steinpflaster.

Ich kann und will ihm nicht mehr folgen. Ich eiere wie der erste Skater über die Altrheinbrücke zum Grenzübergang nach Gaissau. Die kommenden drei Kilometer auf Österreicher Seite habe ich bei den bisherigen Bodenseeumrundungen nie als besonders unangenehm empfunden, heute jedoch schon. Es fühlt sich an wie ein Nagelbrett. Ich merke, wie sich der Großzehenstrecker auf dem linken Spann zunehmend bemerkbar macht. Das ist eine sich anbahnende Sehnenscheiden-entzündung, ich kenne diese Art Schmerz.

Oh je, denke ich, kann das sein, dass ich bei diesem herrlichen Wetter und dem schönsten Abschnitt der ganzen Tour vor mir plötzlich die Segel streichen muss? Ich nehme mir vor, den Rheindamm wenigstens zu erreichen und dann weiter zu sehen.

In St. Margrethen ist es dann soweit. In weitem Bogen fahre ich auf einen gut drei Meter hohen Wall zu, auf dessen Kamm einige Radler die Wegweiser studieren. Auf dem Damm eröffnet sich schlagartig eine neue Welt für mich. Der verheißungsvolle Blick gen Süden in das weite Rheintal, gesäumt von ersten hohen Bergen, an denen einzelne Wolkenfetzen zu kleben scheinen lässt in mir die Gewissheit reifen, dass die Tour hier noch nicht zu Ende sein kann - nicht zu Ende sein darf. Zu verlockend ist die Vorstellung jetzt geradewegs ins Hochgebirge vorzustoßen, und das mit Inlineskates.

Die Beherrschung des Schmerzes ist ein Frage der Geistesanstrengung. Man kann den Schmerz eine Zeit lang bewusst ausblenden, wenn man ein lohnenswertes Ziel vor Augen hat. Die überwiegend gute Asphaltierung des Weges, die Vorhersehbarkeit der Strecke und die Menschenleere machen mir die Beherrschung des Schmerzes allerdings auch zunehmend leichter. Es kommen traumhafte kilometerlange Passagen auf der Kuppe des Dammes zwischen Rhein und Autobahn, die es mir erlauben, ganz lange gleichförmige Bögen zu fahren, so gut es geht mit der Außenkante aufzusetzen und somit die gereizte Sehne deutlich weniger zu belasten, wie auf den ersten Tageskilometern.

In Kriessern finde ich eine der wenigen Bänke und raste. Schnell vergeht eine Stunde mit Sonnenanbeten, Essen und Trinken. Weitere 25 Kilometer später mache ich nochmal in Buchs Halt, um Verpflegung aufzutanken. Ich muss extra vom schönen Rheindamm ins Stadtzentrum rollen, um einen Supermarkt mit geeigneten Waren, jedoch missmutigem Personal zu finden. Eilig wende ich mich wieder dem Rhein zu und trinke auf dem Damm skatend eine große Dose Bier. Die hält gut fünf Kilometer.

Fast unbemerkt ist ein leichter Rückenwind aufgekommen, dem ich weiteren Fahrspaß zu verdanken habe. Vor Bad Ragaz muss ein sehr raues Stück überwunden werden. Nach einem weiteren rauen Stück Landstraße entscheide ich, hier ein schönes Plätzchen am Rhein zu suchen, um mich nochmal gehörig auszuruhen vor der letzten Etappe das Tages. Ich will noch bis Landquart durchkommen, dort in die Rhätische Bahn steigen und mich gemütlich nach Davos, in die höchstgelegene Stadt Europas gondeln lassen.

Ein steiniges Plätzchen am Rheinufer ist schnell gefunden. Die Pause muss mindestens so lange dauern, bis die Sonne den beißenden Gestank aus den nassen Shirts gebrannt hat. Ich hänge den linken Fuß in das eiskalte braungraue Flusswasser, erst kurz, dann immer länger. Wie sich später zeigt, wirkt das sensationell. Ich kann nach der Pause wieder skaten wie ein junger Gott.

In Bad Ragaz habe ich mit hartnäckig sturen oder auch vielleicht nur vollkommen schwerhörigen Kurgästen zu kämpfen. Ich hätte dort niemals erwarten dürfen, dass mir Menschen im Trauergewand sagen können, ob der an der Kantonalstraße beginnende herrlich geteerte Radweg wirklich nach Landquart durchgeht. Wie konnte ich mich auf die wage Aussage verlassen. Anstatt die geplante rechtsrheinische Route zu wählen, lasse ich mich auf die Kantonalstraße ein, deren Radweg prompt nach einem Kilometer einfach aufhört. Nun gut, umkehren kommt nicht in Frage, jetzt behaupte ich mich eben auf der Straße. Der Verkehr ist gering und ich komme gut voran. Trotzdem versuche ich, wo ich auch unterwegs bin, das Skaten auf stärker befahrenen Straßen soweit es eben geht zu vermeiden.

Um 16:05 Uhr bin ich am Bahnhof von Landquart angekommen, meinem Ziel. Mich befällt eine riesen Freude als die Schuhe ausgezogen sind und sich Erschöpfung schnell in allen Gliedern breit macht. Der Gedanke an die Strapazen der zurückliegenden Tour und die vier bevorstehenden herrlich ruhigen Tage auf einer Almhütte auf 1800 Meter entfacht ein Gefühlssturm in mir, der noch anhält als ich schon lange in dem roten Bimmelbähnchen nach Klosters und Davos sitze. Zuvor habe ich Dieter gesimst, dass ich gegen 18:00 Uhr am Bahnhof Davos Platz ankommen werde.

Bei Bilderbuchwetter wird die Einfahrt nach Davos wieder zu einem besonderen Erlebnis. So gut ich diesen Ort nach vielen Jahren der Teilnahme am weltgrößten Ultrabergmarathon immer Ende Juli inzwischen kenne, so neu ist nun die Perspektive aus der Bahn auf Davosersee, Weißfluhjoch und Parsennbahn.

Am Bahnhof brauche ich nicht lange zu warten, bis mich Bernd und Dieter in Empfang nehmen und mit dem Wagen bis vor unsere Hütte fahren. Dort ist zur Überraschung aller bereits eine große Siegerehrung vorbereitet.

Und so endet ein gelungenes Experiment in alpiner Höhe, herrlichster Natur und bester Gesellschaft.

 

 

 

 

Nach ein paar Tagen Erholung starten Dieter und Micha am Samstag den 29. Juli beim Swiss Alpine Marathon in Davos in der Team Kategorie für zwei schweizer Teams des Finanzdienstleisters AWD. Beide Teams kommen unter die ersten 10 in den jeweiligen Kategorien.

 

 

 

© Speedteam Freiburg, letzte Aktualisierung: 31.08.2007